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Pressespiegel 2008

Mobile Arbeitslosenberatung

Auswege aus dem Berliner Hartz-IV-Dschungel

23.08.2008 - Von Gianna Hermann – Berliner Morgenpost

Ein Besuch im Jobcenter verwirrt Berliner Arbeitslose oft mehr, als dass er Klarheit schafft. Vor allem Hartz-IV-Empfänger sind mit den Anträgen und Formalitäten überfordert. Ihnen stehen die Mitarbeiter des Berliner Arbeitslosenzentrums und anderer Beratungsstellen mit Rat und Tat zur Seite. Mit dem Beratungsbus sind sie von Jobcenter zu Jobcenter unterwegs. Mehr als 40 Ratsuchende steigen täglich ein.

"Ich habe das Gefühl, hier werden nicht Menschen betreut, sondern Akten verwaltet!“ Aufgelöst kommt die junge Frau aus der Arbeitsagentur. In ihren Augen stehen Tränen. Die alleinerziehende Mutter ist Studentin und hat einen Nebenjob, von dem sie jedoch nicht leben kann. Die Betreuerin der Arbeitsagentur hat ihr nun geraten, das Studium aufzugeben, um eine Vollzeitstelle anzutreten – ein Semester vor ihrem Abschluss.

Frank Steger reicht der verzweifelten Frau ein Taschentuch: „Jetzt beruhigen Sie sich erst mal! Und dann erzählen Sie der Reihe nach!“ Frank Steger, Vorstandsmitglied beim Berliner Arbeitslosenzentrum (eine Einrichtung der evangelischen Kirchenkreise), steht seit acht Uhr vor dem Jobcenter Lichtenberg. Seit dem 18. August ist Steger mit dem Beratungsbus unterwegs, um die Fragen der Arbeitssuchenden vor den Berliner Jobcentern zu beantworten.

Unterstützt wird er von zwei Sozialarbeitern der Diakonie und der Caritas, die mit anderen Wohlfahrtsvereinen zu den Förderern des Projekts gehören. An die 40 Beratungsgespräche führen die Betreuer pro Tag. Vor allem die Hartz-Reformen sind Thema. Denn der Besuch im Jobcenter schafft oftmals keine Klarheit, sondern stiftet eher noch größere Verwirrung. Viele Besucher treten deshalb mit fragendem Gesicht vor das Amt und sind froh über das Angebot des Beratungsbusses.

Frank Steger rief die Initiative 2007 ins Leben und reagierte damit auf die unzureichende Beratung durch die Arbeitsämter. „Das Problem ist, dass die Mitarbeiter der Jobcenter oftmals weder die richtige Ausbildung noch genügend Zeit haben, um die Leute angemessen zu betreuen“, sagt Steger. Die persönliche Lebenssituation des Einzelnen spiele bei der Beratung keine Rolle. Das sei im Berliner Arbeitslosenzentrum anders: „Bei uns steht der Mensch im Vordergrund, nicht die Akte.“

Immer wieder treten bei der Antragsbearbeitung der Arbeitsagenturen Fehler auf. Im vergangenen Jahr nahm das Berliner Sozialgericht 18336 Klagen von Arbeitssuchenden entgegen, die einen Fehler im Agenturbescheid betrafen. Knapp die Hälfte der Fälle wurde zugunsten der Kläger entschieden. Häufig hatten die Mitarbeiter der Jobcenter die Verfahrensvorschriften nicht eingehalten. Immer wieder gab die Frage des „angemessenen“ Wohnraums Grund zur Klage.

Die Geschäftsführerin vom Jobcenter Lichtenberg, Hannelore Mouton, räumt ein, dass die neue Gesetzeslage viele Mitarbeiter überfordert: „Wir brauchen in den Jobcentern mehr Personal aus dem gehobenen Dienst, das dauerhaft bei uns angestellt ist.“ Allerdings trage auch die unklare Rechtslage dazu bei, dass viele Hartz-IV-Empfänger ihre Prozesse gewinnen. Mouton relativiert die hohe Anzahl von Klagen vor dem Sozialgericht: „Man darf nicht vergessen, dass unsere Mitarbeiter im Monat mehrere Tausend Bescheide versenden. Von den Klagen sind nur etwa zehn Prozent betroffen.“

Das Berliner Arbeitslosenzentrum will zur Aufdeckung amtlicher Fehlentscheide beitragen und die Arbeitssuchenden über ihre Recht und Pflichten aufklären. Nicht selten schickt Frank Steger die Beratungssuchenden mit ihrem Anliegen direkt zum Sozialgericht. „Irren ist amtlich“ prangt in großen Buchstaben auf dem Infoblatt, das auf Tischen vor dem Beratungsbus ausliegt. Doch die Fehler müssen zunächst einmal gefunden werden. Vor allem die Bürokraten-Sprache der Antragsformulare stellt für viele eine Hürde dar. Ausländer verlieren im Paragrafen-Dschungel besonders leicht den Überblick.

Quelle: http://www.morgenpost.de/berlin/article859145/
Auswege_aus_dem_Berliner_Hartz_IV_Dschungel.html