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Pressespiegel 2008

"Einfach anrufen - das geht so nicht"

Arbeitslose ärgern sich über den Service in Jobcentern. Ihr häufigster Vorwurf: Die Leistungen werden falsch berechnet

19.08.2008 - Marlies Emmerich – Berliner Zeitung

Kunden des Jobcenters Mitte sind gestern wie gewohnt in die neue Woche gestartet: Jeden Montag bildet sich dort eine Schlange von Hartz-IV-Empfängern, die vom Eingang in der Berlichingenstraße bis weit zur Sickingenstraße reicht. Wer gleich früh kommt, braucht in der Regel bis zu zwei Stunden, um sein Anliegen vorzutragen. "Wenn dann alles wirklich in Ordnung wäre, wäre ich zufrieden", sagt ein Arbeitsloser vor der Tür. Denn die Kritik der meisten Betroffenen geht weit über lange Wartezeiten hinaus: Die Bearbeitung von Anträgen dauert meist noch immer zu lange, Bescheide sind häufig fehlerhaft oder überhaupt nicht lesbar und nicht selten wird zu wenig Geld ausgezahlt. Das sind die Hauptvorwürfe, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger gegenüber den Jobcentern erheben.

Das Berliner Arbeitslosenzentrum fährt deshalb seit gestern mit einem Beratungs-Bus vor die Behörden, um dort die Betroffenen direkt zu unterstützen. Die Aktion läuft bis 26. September.

Markus Wahle vom Arbeitslosenzentrum zählt eine ganze Reihe von Fällen auf, bei denen es aus seiner Sicht nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Als "typisch" bezeichnet der junge Mann das fehlerhafte Anrechnen des Einkommens. So würde von den Sachbearbeitern "gerne" das Pflegegeld als Einkommen verrechnet, was allerdings schlicht falsch sei. Und als "ganz problematisch" nennt Wahle alle Bescheide, die das Einkommen von Selbstständigen bei der Berechnung beinhalten sollen. "Da ist fast jeder Bescheid falsch", sagt Wahle. Doch selbst wer nur eine einfache Umzugsmeldung korrigieren möchte, scheitert. "Schnell einmal anrufen geht nicht, dann landet man im Callcenter", weiß ein vorbeieilender Erwerbsloser. Die ursprünglich versprochene telefonische Erreichbarkeit und den Kontakt mit seinem direkten Betreuer gebe es so jedenfalls nicht, sagt er.

Es gibt noch andere Probleme, wie die Mitarbeiter des Arbeitslosenzentrums an diesem Morgen erfahren. Da will beispielsweise eine Frau, Italienerin und alleinerziehend, für sich und ihre kleine Tochter Hartz IV beantragen. "Äußerst ungern" wie die junge Mutter betont. Anders kann sie allerdings vorerst nicht über die Runden kommen. Doch schon am Eingangsschalter erfährt die Frau: "EU-Bürger haben zwar europaweit Freizügigkeit bei der Arbeitssuche, nicht aber Anspruch auf Arbeitslosengeld II." In das Haus darf sie nicht hinein, um einen Sachbearbeiter zum Thema zu finden. Enttäuscht und resigniert wendet sich die Italienerin an die Berater im Bus.

Die sagen, dass EU-Bürger rein theoretisch tatsächlich kein Hartz IV erhalten, wiederum aber durch zahlreiche Gesetze zum Aufenthaltsrecht dennoch diese staatliche Leistung letztlich beanspruchen können. So gehe aus dem Aufenthaltsrecht hervor, sagen die Berater, dass jeder EU-Bürger nach einem halben Jahr Beschäftigung im Sinne des Gesetzes Arbeitnehmer ist und berechtigt sei, Hartz IV zu beziehen. Und wer, wie mancher Grieche oder manche Griechin, manche Italienerin oder mancher Italiener mit einem deutschen Partner verheiratet ist, braucht sich auch keine Sorgen zu machen: In solchen Fällen sorgt der deutsche Staat dafür, dass keiner verhungert. Bei der gebürtigen Italienerin reicht es aus, dass ihr kleines Kind den deutschen Pass mit der Geburt erhalten hat. Die Frau will ihr Glück in den nächsten Tagen noch einmal versuchen.

Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/
dump.fcgi/2008/0819/berlin/0033/index.html