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Pressemitteilungen

Aktion "Irren ist amtlich – Beratung kann helfen!"

Bilanz der Jobcenter-Tour 2013

8. August 2013 – Frank Steger, Berliner Arbeitslosenzentrum

Am Freitag geht die sechswöchige Jobcenter-Tour des Berliner Arbeitslosenzentrums der evangelischen Kirche (BALZ) zu Ende. Der Beratungsbus steht zum Abschluss der Aktion „Irren ist amtlich – Beratung kann helfen“ von 8 bis 13 Uhr vor dem Jobcenter in der Reinickendorfer Miraustraße. Die mobile Hartz IV-Beratung fand in diesem Jahr zum siebten Mal seit 2007 statt. Sie wird unterstützt von den Wohlfahrtsverbänden, der Landesarmutskonferenz und dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Am Donnerstag zogen die Veranstalter gegenüber der Presse Bilanz.

Mehr als 1000 Beratungen – Jobcenter zeigen sich interessiert

Das Beratungsangebot vor dem Jobcenter wurde in diesem Jahr erneut gut aufgenommen. Insgesamt zählten die Veranstalter mehr als 1000 Beratungen am Bus. Das entspricht 42 Beratungen pro Tag. Das ist der zweithöchste Wert der vergangenen sieben Jahre.
Die Jobcenter haben sich inzwischen auf den Besuch des Beratungsbusses eingestellt. Sie benennen häufig Ansprechpartner und interessieren sich für Rückmeldungen aus der Beratung am Bus. Fünf der zwölf Jobcenter luden zum Austausch ein. Dies waren Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg, Pankow, Spandau und Treptow-Köpenick. Die Gespräche verliefen nach Angaben des Koordinators der Aktion, Frank Steger, offen und konstruktiv.

Jobcenter vermittelt in "sittenwidrige Arbeitsverhältnisse"

Auf einen schweren Amtsirrtum stießen die Berater in Pankow. Eine Arbeitsuchende hatte über die Arbeitsagentur Reinickendorf von ihrem Jobcenter ein Angebot für eine Stelle als Sekretärin erhalten. Obwohl erweiterte Kenntnisse im Umgang mit Bürosoftware, Kundenberatung und Büromanagement erwartet wurden, sah das Angebot ein Monatsentgelt von 700 bis 800 Euro bei Vollzeit vor. Das entspricht einem Stundenlohn von 4,04 Euro bis 4,62 Euro. Am Beratungsbus erfuhr die Ratsuchende, dass das Arbeitsangebot sittenwidrig sei und von ihr nicht angenommen werden müsse. Es dürfe gegen sie auch keine Sanktion verhängt werden, wenn sie die Stelle nicht antrete. Die Frau lehnte daraufhin den Vermittlungsvorschlag ab und machte den Vorgang öffentlich.

Die Arbeitsagentur reagierte und nahm das Angebot aus ihrer Online-Jobbörse. Sie entschuldig-te sich zwei Wochen später bei der Arbeitsuchenden schriftlich. Den Veranstaltern der Busak-tion reicht das allerdings nicht. Steger: „Wie kommen solche mit Sanktionsdrohungen belegten Angebote überhaupt in das Jobportal der Arbeitsagentur? Weshalb fällt der Behörde erst verspätet auf, dass derart skandalöse Stundenlöhne gegen geltendes Recht verstoßen?“ Die Berliner Jobcenter seien bisher nicht als Vorreiter gegen Lohndumping aufgefallen. Deshalb könne man nur hoffen, dass der Vorfall die Behörde bewege, ernsthafter als bisher gegen sittenwidrige Löhne vorzugehen, so Steger.

Aufforderung zur Kostensenkung gegen Mieter von Sozialwohnungen

Im Zentrum der Anfragen standen wie in den Vorjahren die Kosten der Unterkunft. Die Veranstalter befürchten, dass trotz der zum 1. August angehobenen Mietobergrenzen die Jobcenter weiterhin in großer Zahl Aufforderungen zur Senkung der Mietkosten verschicken werden. Im Januar lebten laut einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Fraktion der Piraten im Abgeordnetenhaus fast ein Viertel der sogenannten Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften in Wohnungen, die die Richtwerte des Landes überschreiten. Wie die Berater am Bus erfuhren, gilt das inzwischen auch für Mieter von Sozialwohnungen, die sich im Eigentum des Landes Berlin befinden. Dazu Frank Steger: „Es ist ein Unding, dass Wohnungen, die ursprünglich für Menschen mit geringem Einkommen aus dem Geld der Steuerzahler gebaut wurden, für Bezieher von Jobcenter-Leistungen nicht als angemessen gelten sollen.“

Einkommen wird häufig falsch angerechnet

Zahlreiche Bescheide, die am Beratungsbus überprüft wurden, enthielten Fehler. Irren ist vor allem im Zusammenhang mit der Anrechnung von Einkommen amtlich, insbesondere bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit. So wurde in Einzelfällen Einkommen zugrunde gelegt, das gar nicht oder noch nicht zufloss. Die Busberater empfehlen Leistungsberechtigten, die Bescheide sorgfältig zu prüfen und sich Unklarheiten zunächst vom Jobcenter erklären zu lassen. Im Zweifelsfall prüfen unabhängige Beratungsstellen die Anrechnung.

Beschwerden gegen überlange Bearbeitung bei Bildung und Teilhabe

Generell sind nach Angaben der Jobcenter überlange Bearbeitungszeiten für Anträge von leistungsberechtigten Arbeitsuchenden seltener geworden. Gleichwohl beklagten sich Ratsuchende am Beratungsbus darüber, dass die Jobcenter unzumutbar lange für die Bearbeitung ihrer Anliegen benötigten. Mehrfach betraf dies Anträge auf Übernahme von Kosten für ein ermäßigtes Schülerticket für Fahrten mit Bus und Bahn zur Schule. In einem Fall brauchte das Jobcenter für die Ausstellung des notwendigen BuT-Passes ganze vier Monate. Die nicht unerheblichen Mehrkosten müssen die Antragsteller während der Zeit der Antragsbearbeitung selber tragen. Das Schülerticket kostet 28,50 Euro, ermäßigt wird es für 15 Euro abgegeben.

Fortsetzung der Beratungsaktion ungewiss

Zuschüsse von fünf evangelischen Kirchenkreisen und zahlreiche private Spenden ermöglichten die Finanzierung der Aktion in diesem Jahr. Ob der Bus auch 2014 auf Jobcenter-Tour geht, ist derzeit völlig ungewiss. Das Land Berlin stellt für das Angebot keinen Cent zur Verfügung. Dabei hatte die Alice Salomon Hochschule Berlin 2010 als Ergebnis einer wissenschaftlichen Begleituntersuchung der Beratungsbus-Aktion festgestellt: „Aus den hohen Zustimmungswerten geht hervor, dass der Beratungsbus mit seinem mobilen, niedrigschwelligen Angebot genau die Bedürfnisse derjenigen Menschen getroffen hat, die ihre Wünsche und Fragen im Jobcenter selbst nicht oder nur schwer artikulieren können. (…) Eine qualifizierte, professionelle und finanziell abgesicherte Beratung ist jedoch erforderlich – und das regelmäßige Angebot einer aufsuchenden Unterstützung wie der Beratungsbus in der sechswöchigen Aktion des BALZ eine notwendige Ergänzung in der Berliner Hilfelandschaft.“

Weitere Informationen und druckfähige Fotos im Internet: www.beratung-kann-helfen.de

Kontakt: Frank Steger (Koordinator der Aktion), mobil: 01 77 – 4 18 86 68