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Wohnen mit Hartz IV

Ergebnisse einer Umfrage des Berliner Arbeitslosenzentrums

03.07.2009 – Presseinformation des Berliner Arbeitslosenzentrums

Die Zeiten für Hartz-IV-Empfänger am Berliner Wohnungsmarkt werden schwerer. Das ist die Schlussfolgerung aus einer Umfrage, die das Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise (BALZ) vor den Jobcentern der Hauptstadt durchführte. Befragt wurden 565 Berlinerinnen und Berliner, die eine mobile Beratung der Wohlfahrtsverbände aufsuchten, zu ihren Erfahrungen mit der Übernahme der Wohnkosten durch die Sozialverwaltung. Die Auswertung zeigt, dass fast vier von zehn Beziehern von Arbeitslosengeld II in Berlin in Wohnungen leben, die aus Sicht der Jobcenter zu teuer sind. Die Folge ist, dass das Amt bei mehr als 30 Prozent der befragten Leistungsberechtigten nicht mehr die vollständigen Kosten der Wohnung übernimmt. Jeder Zweite in der betreffenden Personengruppe finanziert den Fehlbetrag aus seiner Hartz-IV-Leistung und rutscht so unter das staatlich zugesicherte Existenzminimum. Gleichzeitig legt die Behörde Umzugswilligen erhebliche Hemmnisse in den Weg.

Hohe Zufriedenheit mit der Wohnung

Berlins Hartz-IV-Empfänger sind überwiegend zufrieden mit ihrer Wohnsituation. Lediglich 15 Prozent der Befragten geben in der Umfrage an, mit ihrer Wohnung „unzufrieden bis sehr unzufrieden“ zu sein. Drei von vier dagegen sind mindestens „eher zufrieden“. Folgerichtig will auch eine deutliche Mehrheit von 60 Prozent nicht aus der Wohnung ausziehen und das Wohnumfeld mit seinen Sozialkontakten verlassen.

39,3 Prozent der Hartz-IV-Haushalte zahlen Mieten, die aus Sicht der Jobcenter zu hoch sind

Die Jobcenter erstatten bedürftigen Arbeitsuchenden und ihren Angehörigen die Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit sie angemessen sind. Was als „angemessen“ gilt, regeln in Berlin die „Ausführungsvorschriften Wohnen“ des Senats, kurz: AV-Wohnen. Danach wird bei einem Single-Haushalt eine Warmmiete von bis zu 378 Euro als angemessen eingestuft. Für Zwei- und Drei-Personen-Haushalte liegen die Richtwerte bei 444 und 542 Euro. 619 Euro gelten als Grenze für eine vierköpfige Familie. Warmmieten, die über den in den Vorschriften festgelegten Grenzwerten liegen, werden nur in besonders begründeten Fällen übernommen.

Wie hoch der Anteil unangemessener Wohnkosten ist, vermögen die Ämter nicht zu sagen. „Die Kosten für die Unterkunft werden zwar von den Jobcentern erhoben, ihr EDV-System ist aber offenbar nicht in der Lage, die Daten entsprechend aufzubereiten. Deshalb hatten wir uns entschlossen, eine eigene Erhebung zu machen“, so Frank Steger vom Vorstand des Arbeitslosenzentrums.

Die Umfrage ergibt, dass bei 39,3 Prozent der Befragten die Warmmieten über den Richtwerten der AV-Wohnen liegen. Noch höher ist der Anteil bei den Zwei- und Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften. Hier ist bei knapp jedem zweiten Haushalt die Miete zu hoch. „Eine überdurchschnittliche Abweichung nach oben hatten wir eigentlich bei den Ein-Personen-Haushalten erwartet“, erklärt Steger.

Möglicherweise kommt hier zum Tragen, dass die Senatsparteien sich Ende letzten Jahres darauf verständigt hatten, die Richtwerte für die Mieten von Singles um fünf Prozent anzuheben. Bei den Mehr-Personen-Haushalten hat es dagegen keine Anpassung an die Mietentwicklung gegeben. Die Richtwerte verharren hier weiter auf dem Niveau von 2005, als Hartz IV eingeführt wurde. Nach Angaben des Berliner Mietervereins sind die Netto-Kaltmieten im Wohnungsbestand seitdem um durchschnittlich 9 bis 12 Prozent und die Preise für Öl und Gas seit 2003 um 35 Prozent gestiegen.

Jede fünfte Bedarfsgemeinschaft wurde aufgefordert, die Wohnkosten zu senken

Ist die Miete unangemessen hoch, fordern die Jobcenter die Leistungsbezieher auf, die Kosten der Wohnung innerhalb einer Frist von maximal sechs Monaten zu senken. Bis März war dem in Berlin eine Schonfrist von einem Jahr seit Beginn des Leistungsbezugs vorgeschaltet. Sie ist auf Druck von Landes- und Bundesrechnungshof abgeschafft worden.

Der Umfrage zufolge ist in Berlin inzwischen mehr als jede fünfte Bedarfsgemeinschaft schon einmal aufgefordert worden, die Wohnkosten zu senken. Allerdings gelingt dies nur einer Minderheit. Fast 60 Prozent der Aufgeforderten geben an, dass sie die Kosten nicht senken konnten. Mehr als 25 Prozent kamen der Aufforderung durch Auszug aus ihrer Wohnung nach. Nur wenige vermochten den Vermieter zu bewegen, die Miete zu senken (drei Prozent), oder waren in der Lage, einen Teil ihrer Wohnung unterzuvermieten (vier Prozent). Einsparungen über eine Drosselung der Heizkosten erreichten lediglich drei Prozent.

Jobcenter übernehmen bei fast einem Drittel nicht die vollständigen Kosten der Unterkunft

Auf die Frage „Werden die Kosten der Wohnung vom Jobcenter vollständig übernommen?“ antwortet fast jeder Dritte mit „Nein“. Das Problem ist, dass Hartz-IV-Empfänger kaum Möglichkeiten haben, die nicht übernommenen Kosten zu finanzieren. 26 Prozent geben an, dass sie die Mehrausgaben aus Einkommen aus Erwerbstätigkeit finanzieren. Gut fünf Prozent behelfen sich durch einen Rückgriff auf frühere Sparguthaben, die ihnen der Gesetzgeber als Schonvermögen belässt. Mehr als jeder zweite der betroffenen Haushalte aber muss die Regelleistung antasten, die eigentlich als soziokulturelles Existenzminimum bestimmt ist, um die Finanzierungslücke zu schließen. „Die Zahlen bestätigen unsere Eindrücke aus der Beratungsarbeit. Wer bei seiner Miete beispielsweise 20 bis 30 Euro über den Richtwerten liegt, spart sich die Wohnung lieber vom Munde ab, als dass er sie verlässt. Die Menschen wissen, dass sie nur geringe Chancen haben, in ihrem Wohnumfeld eine preiswertere Wohnung zu finden.“

Keine vollständige Kostenübernahme auch bei vom Jobcenter veranlassten Umzügen

Nach den AV-Wohnen müssen die Jobcenter die Kosten für Umzüge übernehmen, die von ihnen durch eine Aufforderung zur Kostensenkung veranlasst wurden. Die Praxis der Jobcenter weicht von dieser rechtlichen Vorgabe deutlich ab. Mehr als die Hälfte der unfreiwillig Umgezogenen erklärt, dass die Jobcenter die Kosten des Umzugs nicht vollständig übernommen haben. Die Jobcenter zahlen häufig nicht für anfallende doppelte Mieten oder Kautionen. Auch die Helferpauschale und die Kosten für Umzugkartons werden in fast jedem zweiten Fall nicht übernommen.

Freiwillige Umzüge unerwünscht

Wenn Leistungsbezieher umziehen wollen, benötigen sie eine Genehmigung des Jobcenters, um sicher zu gehen, dass die dafür notwendigen Kosten übernommen werden. Auch Vermieter verlangen von ihnen in der Regel eine Bescheinigung des Jobcenters zur Kostenübernahme. Die Hürden für gewünschte Umzüge sind sehr hoch. Eine Kostenübernahme wird oft auch dann nicht erteilt, wenn sich die Kosten der neuen Wohnung im Rahmen der festgelegten Richtwerte bewegen und unter den Ausgaben für die alte Wohnung liegen. Laut Umfrage wurden nur 16 Prozent der gewünschten Umzüge genehmigt. In der Praxis dauert überdies die Bearbeitung des Antrags in vielen Fällen so lange, dass die Wohnungen, um die sich Leistungsbezieher beworben haben, oft schon vergeben sind. Nach Ansicht des BALZ wird damit das Recht auf Freizügigkeit für diesen Personenkreis faktisch außer Kraft gesetzt.

Weitere Informationen

Auswertung "Wohnen mit Hartz IV"

Download (PDF-Datei, 25 KB)

Detailliertes Positionspapier: "Änderungsvorschläge zu den AV-Wohnen"
von Solveig Koitz und Markus Wahle

Download (PDF-Datei, 183 KB)