Berliner Arbeitslosenzentrum - 28. September 2012
Die Veranstalter der mobilen Beratungsaktion "Irren ist amtlich – Beratung kann helfen" unterbreiten im Folgenden Vorschläge, wie der Service und die Beratung der Berliner Jobcenter für Leistungsberechtigte verbessert werden können.
Legt man die Maßstäbe des Sozialgesetzbuchs an, dann müssen Verwaltungsakte bestimmt und begründet sein. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger müssen aus dem Bescheid die Entscheidung der Behörde nachvollziehen können. Nur so sind sie in der Lage, ihre Rechte sachgemäß wahrnehmen zu können. Diesem Anspruch werden die Bescheide der Jobcenter aber nicht gerecht. So wird beispielsweise bei der Anrechnung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit nur das Ergebnis angegeben. Wie das Einkommen im Einzelnen angerechnet wird, bleibt aber unklar. Das führt im Ergebnis dazu, dass Leistungsberechtigte nicht selten zu wenig Leistung erhalten.
Vor kurzem wurde bekannt, dass die Bundesagentur für Arbeit plant, ab Januar 2013 neue Bescheide einzuführen, die den gesetzlichen Vorgaben nach Begründetheit und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungsaktes gerecht werden. Bislang hieß es, dass die Software A2LL es nicht erlaube, rechtssichere und bürgerfreundliche Bescheide auszugeben. Die Entwickler scheinen nach Jahren nun endlich einen Dreh gefunden zu haben, das Problem zu beheben. Eine offizielle Bestätigung aus Nürnberg liegt noch nicht vor.
Die Jobcenter kommen ihrem Aufklärungs- und Beratungsauftrag nach den Paragraphen 13 und 14 des Sozialgesetzbuches I nicht ausreichend nach. Unabhängige Sozialberatungsstellen beantworten Bürgerinnen und Bürgern häufig Fragen, die die Behörde beantworten müsste. In einigen Jobcentern übernehmen es so genannte Bescheiderklärer, Rat- und Hilfesuchenden den Bescheid der Behörde zu erklären. Bescheiderklärer können aber nur eine Notlösung sein. Sinnvoller wäre es, wenn die Leistungsberechtigten einen schnellen Zugang zu den Mitarbeitern des Leistungsbereichs der Jobcenter bekämen. In einigen der Berliner Jobcenter ist es möglich, über die telefonische Hotline zeitnah einen Termin mit dem Arbeitsvermittler und dem zuständigen Sachbearbeiter des Leistungsbereichs zu vereinbaren. Diese Praxis sollte für alle Jobcenter verbindlich werden.
Die Berliner Jobcenter sind weiterhin personell unterbesetzt. Das führt auf Seiten der Mitarbeiter zu einer hohen Belastung bis hin zur Überlastung. Immer noch ist ein Teil des Berliner Jobcenter-Personals sachgrundlos befristet angestellt. Wechselndes Personal muss sich neu einarbeiten und muss neu qualifiziert werden. Das führt zu erheblichen Schwierigkeiten. Eine der Hauptforderungen ist daher, dass die Jobcenter personell endlich so ausgestattet werden, dass angemessene Betreuungsschlüssel erreicht und befristete in unbefristete Arbeitsverhältnisse überführt werden.
Der Gesetz- und Verordnungsgeber verändert permanent und mit hohem Tempo die rechtlichen Vorschriften. Das Sozialgesetzbuch II wurde seit seiner Einführung zu Jahresbeginn 2005 bereits 54 Mal abgeändert - so häufig wie kein anderes Gesetz. Die neue Berliner Wohnaufwendungenverordnung des Senats wirft mehr neue Fragen auf, als sie beantwortet. Viele Widersprüche und Klagen könnten vermieden werden, wenn die Sachbearbeiter der Leistungsbereiche regelmäßig fortgebildet würden, um die rechtlichen Bestimmungen, die dazu erlassenen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit und die Rechtsprechung besser zu kennen und anzuwenden.
Die Wartezeiten in den Jobcentern sind in den letzten Jahren kürzer geworden. Gleichwohl gibt es immer noch Jobcenter, in denen die "Kunden" noch immer zwei bis drei Stunden in der Eingangszone warten müssen. Das ist acht Jahre nach der Eröffnung der Jobcenter völlig inakzeptabel. Das Sozialgesetzbuch verpflichtet den Leistungsträger darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Leistungen umfassend und zügig erhält und dass die Dienstgebäude frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren sind. Ein Beispiel für eine gut funktionierende Eingangszone bietet das Jobcenter Treptow-Köpenick.
Leistungsbeziehenden muss weiterhin geraten werden, sich die Abgabe von Unterlagen vom Jobcenter bestätigen zu lassen. Denn noch immer gehen Poststücke im Jobcenter verloren. Von Seiten des Jobcenters wird dann behauptet, die Post sei nicht abgegeben worden. Es ist dringend an der Zeit, diesen untragbaren Zustand zu ändern, indem die Organisation des Posteingangs und die Postverteilung endlich in allen Jobcentern in Ordnung gebracht werden.
Handlungsbedarf besteht immer noch bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen. Hintergrund: Bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird der anrechenbare Teil des Erwerbseinkommens, das in der Regel am Ende des Monats zufließt, Anfang des Folgemonats zurückgefordert. Da am Anfang des Folgemonats zugleich nur eine gekürzte Leistung gezahlt wird, das Arbeitsentgelt aber erst zum Ende des Monats eingeht, kommt es zu einer zwischenzeitlichen Bedarfsunterdeckung, sofern nicht auf Schonvermögen zurückgegriffen werden kann. Leistungsberechtigte legen daraufhin häufig Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ein. Dieses Verfahren wäre nicht nötig, wenn das Jobcenter den Leistungsberechtigten regelmäßig anbieten würde, dass der zu erstattende Betrag in Raten zurückgezahlt werden kann.
Download der Vorschläge (PDF, 25 KB)
Eine Umfrage bescheinigt den Berliner Jobcentern erhebliche Mängel beim Service. Das ist das Ergebnis einer Erhebung, die das Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise (BALZ) in den letzten sechs Wochen durchgeführt hat. Mitarbeiter der Einrichtung haben mehr als 850 Arbeitsuchende vor den zwölf Jobcentern der Hauptstadt zu ihren Erfahrungen mit der Hartz IV-Behörde befragt. Die Untersuchung fand im Rahmen der mobilen Beratungsaktion „Irren ist amtlich - Beratung kann helfen“ im Sommer 2008 statt. Die wichtigsten Ergebnisse:
Nur 47 Prozent der befragten Jobcenter-Kunden geben an, ihren letzten Bescheid zum Arbeitslosengeld II verstanden zu haben. Ob der Bescheid rechtlich korrekt ist, kann sogar nur jeder vierte mit Ja beantworten. Die Bescheide sind auch aus Sicht von Sozialberatern unzumutbar. Legt man die Maßstäbe des Sozialgesetzbuches an, dann müssen Verwaltungsakte bestimmt und begründet sein. Das heißt, der Bürger muss aus dem Bescheid die Entscheidung der Behörde nachvollziehen können. Nur so ist er in der Lage, seine Rechte sachgemäß wahrnehmen zu können. Diesem Anspruch werden die Hartz IV-Bescheide aber nicht gerecht. So wird bei der Anrechnung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit nur das Ergebnis angegeben. Wie das Einkommen im Einzelnen angerechnet wird, bleibt aber unklar. Das führt im Ergebnis dazu, dass die Kunden nicht selten zu wenig Leistung erhalten.
Weniger als drei Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Sachbearbeiter in den Leistungsabteilungen der Jobcenter telefonisch gut erreichbar seien. Auch die persönliche Erreichbarkeit empfinden die Kunden als ungenügend. Nur jeder dreizehnte erreicht seinen Sachbearbeiter gut. Die Erreichbarkeit der Sachbearbeitern ist für die Kunden wichtig, weil viele Fragen zu ihren Leistungsbescheiden haben. Von Seiten der Arbeitsverwaltung wird auf die Service-Hotline der Jobcenter verwiesen, wo sich die Kunden telefonisch jederzeit informieren könnten. Bei der Hotline, die kostenpflichtig ist, bleiben aber viele in der Warteschleife hängen. Kommen sie durch, dann treffen sie auf Mitarbeiter, die zu ihrer Akte entweder keinen Zugang haben oder sie müssen erleben, dass die von Hotline per E-Mail angeschriebenen Sachbearbeiter sich bei ihnen nicht zurückmelden. Die Verwaltung hat inzwischen auf die Beschwerden reagiert und immerhin beschlossen, dass die Service-Hotline künftig kostenlos erreichbar sein wird.
Aus Sicht der Jobcenter-Kunden lässt die Auskunftsfähigkeit der Behörde sehr zu wünschen übrig. Lediglich knapp zehn Prozent der Befragten bejahen die Frage, ob sie von den Sachbearbeitern der Leistungsabteilung klare Auskünfte erhalten. Mehr als die Hälfte antwortet mit Nein. Besser schneidet die Arbeitsvermittlung der Jobcenter ab. 60 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmen der Aussage „Zu meinen Fragen habe ich klare Auskünfte erhalten“ wenigstens teilweise zu. „Das stimmt nicht“ erklären aber immerhin noch 29 Prozent. Die Umfrageergebnisse bestätigen die Erfahrungen von Sozialberatungsstellen, dass die Jobcenter ihrer gesetzlichen Beratungspflicht nur unzureichend nachkommen.
Seit dem Umbau der Arbeitsämter zu Agenturen und Jobcentern werden Arbeitsuchende als Kunden bezeichnet. Die Klagen über unfreundliche Mitarbeiter nehmen aber nicht ab. 20 Prozent der Kunden erklären in der Umfrage, dass bei ihrem letzten Kontakt zum Arbeitsvermittler keine freundliche Gesprächsatmosphäre geherrscht habe. Knapp ein Drittel fühlt sich mit dem eigenen Anliegen nicht ernst genommen und die Hälfte zumindest teilweise abgewimmelt. Die Ergebnisse wären vermutlich noch schlechter ausgefallen, wenn die Frage sich auf die gesamte Behörde und nicht allein auf die Arbeitsvermittlung bezogen hätte. Die Kunden haben häufig den Eindruck lästig zu sein. Nicht selten empfinden sie den Umgang mit ihnen als entwürdigend. Einzelne Jobcenter-Leiter geben unumwunden zu, dass an dem Kundenbild in der Arbeitsverwaltung gearbeitet werden müsse. In vielen Jobcentern herrscht Personalnot. Die Mitarbeiter stehen enorm unter Druck. Für Freundlichkeit ist dann oft kein Raum mehr. Die Folge sind emotionale Aufladungen auf beiden Seiten.
Zwischen dem Arbeitsuchenden und dem Jobcenter soll laut Gesetz eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden. In der Vereinbarung wird geregelt, welche Leistungen zur Eingliederung in Arbeit der Erwerbsfähige von der Behörde erhält und welche Bemühungen er vorzunehmen hat, um nicht länger staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Theorie soll die Eingliederungsvereinbarung die Philosophie vom „Fördern und Fordern“ abbilden. Die Praxis ist davon aber weit entfernt. Lediglich 20 Prozent der befragten Jobcenter-Kunden sehen ihre Wünsche in der Eingliederungsvereinbarung berücksichtigt. Nach Kenntnis des BALZ werden den Vereinbarungen überwiegend standardisierte Texte zugrunde gelegt, die die Besonderheiten des Einzelfalls nicht berücksichtigen. Eingliederungsvereinbarungen würden überdies häufig ohne ausreichende Beratung und unter Druck abgeschlossen.
Download der Umfrage-Ergebnisse 2008 (PDF, 20 KB)
Hier finden Sie Bilder von der Aktion "Irren ist amtlich - Beratung kann helfen". Für Pressezwecke können Sie sich die Fotos in Druckqualität herunterladen.
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Wir stellen Ihnen einige Fragen zu Ihren Erfahrungen mit dem Jobcenter. Die Teilnahme ist anonym. Persönliche Daten erfragen wir nicht.
In der Umfrage ging es um das Thema Arbeiten und Aufstocken mit Hartz IV.
Die Umfrage ist beendet.
Umfrageergebnisse anzeigen (617 KB)
Wenn Sie sich beim Jobcenter beschweren, dann schicken Sie uns eine Kopie Ihrer Beschwerde
zum Artikel "Ich will mich beschweren"
Hier finden Sie Vorschläge,
Das "Hartz-IV-System" wird von vielen Betroffenen als belastend, kontrollierend und entmutigend erlebt. Dem setzt die Diakonie das Konzept einer Existenzsicherung entgegen, das Ermutigung, Respekt und Förderung in den Mittelpunkt stellt. Nach mehr als 15 Jahren "Hartz IV" ist es Zeit für einen Neuanfang.
Reformbedarf bei Zielsetzung und Aufgabenstellung im SGB II, Claus Reis und Benedikt Siebenhaar, Friedrich-Ebert-Stiftung
Diakonie Texte - Positionspapier
Beitrag von Prof. Hans-Ulrich Weth vor dem Berliner Kongress zur Zukunft von Hartz IV
Vorschläge der Diakonie zu einer Neuorientierung von Hartz IV
Plädoyer der Diakonie für eine aktive Arbeitsmarktpolitik
Seit 2007 geht das Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise, kurz: BALZ, auf Jobcenter-Tour. Motto der Aktion: "Irren ist amtlich – Beratung kann helfen".
Die Stiftung Warentest hatte im Jahr 2005 Arbeitsuchende nach ihren Erfahrungen mit den Jobcentern befragt. Das Ergebnis war niederschmetternd: Bescheide waren fehlerhaft. Bedürftige warteten wochenlang auf ihr Geld. Unterlagen verschwanden. "Irren ist amtlich", schlussfolgerten die Verbrauchschützer damals.
Wir nahmen den Satz auf, schnappten uns den Beratungsbus der Berliner Wohlfahrtsverbände und los gings - zunächst für drei Wochen.
Unser mobiles Team berät inzwischen ganzjährig an verschiedenen Orten der Stadt. Es beantwortet Fragen zum Bürgergeld, überprüft Bescheide, unterstützt Ratsuchende beim Schriftwechsel mit der Behörde und informiert Arbeitslose und Erwerbstätige mit geringem Einkommen über Ihre Rechte. "Beratung kann helfen."
Von November bis März beraten wir in den Räumen von befreundeten Einrichtungen. Von April bis Oktober steht unser Beratungsbus jeweils an zwei Tagen vor einem der zwölf Berliner Jobcentern.
Die Beratungsaktion wird von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen anderer Beratungsstellen, verschiedenen Anwältinnen und Anwälten, der Landesarmutskonferenz Berlin und dem Deutschen Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg unterstützt.
In den ersten drei Jahren kam das nötige Geld von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt. Von 2010 bis 2015 halfen uns fünf evangelische Kirchenkreise und zahlreiche Privatpersonen mit Spenden, das Angebot weiterzuführen.
2016 fördert erstmals Land Berlin die mobile Beratung. Wir gehen seitdem mit Unterstützung des Landes von April bis Oktober auf Jobcenter-Tour. Seit 2018 fördert das Land Berlin auch unsere Wintertour von November bis März.
Herzlichen Dank an alle, die zum Erfolg der Aktion beigetragen haben und weiterhin beitragen.